Mittwoch, 11. Dezember 2019

Rotwild im Südschwarzwald – Perspektiven von Waldbesuchenden und Teilnehmenden an einer Rotwildführung

Rotwild polarisiert und phasziniert. Das zeigt die Auswertung von Fragebögen aus dem Jahr 2016. Ergänzend zu einer vorangegangenen Forschungsarbeit zu Rotwild und Tourismus in den Rotwildgebieten Nordschwarzwald und Schönbuch wurden am Schluchsee im Rotwildgebiet Südschwarzwald 26 Waldbesuchende und 29 Teilnehmende an Rotwildführungen zu ihrer Einstellung befragt. Der verwendete Fragebogen war an vielen Stellen offen gestaltet, so dass eine qualitative Analyse der Ergebnisse möglich war. Zwar wussten nur 42% der Waldbesuchenden von der Anwesenheit des Rotwilds im Gebiet und doch waren gleichzeitig mehr als 80% grundsätzlich an einer Beobachtung des Rotwilds interessiert.

Was macht das Rotwild zu einem gern gesehenen Tier?
Das Interesse begründet sich nach Aussage der Waldbesuchenden auf die Bewunderung für die Schönheit und das Erscheinungsbild des Rotwilds. Neben dem allgemeinen Interesse an der Tierart war auch die Seltenheit ein Grund.

Abbildung 2: Interesse am Rotwild unter 29 Teilnehmenden an Rotwild-führungen ©FVA

Kommt es trotz geringer Wahrscheinlichkeit zu einer Begegnung, oder zumindest der Möglichkeit Rotwild zu beobachten, ist es genau dieses Naturerlebnis, welches das Tier für Waldbesuchende interessant und spannend macht (siehe erste Abbildung oben).
Ähnliche Aspekte nannten auch die Führungsteilnehmenden. Neben der Größe des Rotwilds waren es ebenfalls die Seltenheit, das Naturerlebnis sowie die Schönheit des Tieres, die das Interesse am Rotwild begründeten (Abbildung 2). Die Jagd spielte bei beiden befragten Gruppen eine vergleichsweise untergeordnete Rolle.
Auf die Frage, weshalb das Beobachten von Rotwild bei einigen Führungsteilnehmenden als interessanter empfunden wird als das anderer Tiere, wurde die Seltenheit des Rotwilds als Hauptgrund angegeben. Dabei gab ein Großteil der Waldbesuchenden und der Führungsteilnehmenden an, dass sie Rotwild am liebsten „auf eigene Faust in der Natur“ beobachten möchten. Die Gründe hierfür waren vor allem allein und ungestört im Wald unterwegs zu sein sowie eine größere räumliche und zeitliche Flexibilität. Weitere 30% der Waldbesuchenden sowie 24% der Führungsteilnehmenden favorisierten geführte Beobachtungstouren.

Ein Hauptentscheidungskriterium war hierbei, dass sie sich von dieser Art der Beobachtung vor allem Expertenwissen versprechen. Neben dieser klaren Präferenz für das eine oder andere gab es jedoch auch eine Gruppe von Menschen, die weder „auf eigene Faust in der Natur“ noch eine geführte Beobachtungstour bevorzugten. Ihnen ging es nicht darum, in welcher Konstellation (ob alleine oder in der Gruppe), sondern wo sie die Tiere beobachten können, sondern „Hauptsache in freier Wildbahn“. Sowohl den Waldbesuchenden als auch den Führungsteilnehmenden war es wichtig, die Tiere dort zu erleben, wo sich diese frei bewegen können. Begründet wurde dies damit, dass „so große Tiere in die freie Wildbahn gehören“ oder dass es dem Rotwild „in der freien Wildbahn gut geht“.
Diese Aussagen finden sich ebenfalls in den Gründen, an einer Rotwildführung teilzunehmen, wieder. Mehr als ein Drittel der befragten Führungsteilnehmenden wollten Rotwild in der freien Wildbahn oder während der Brunft erleben. Doch auch die Möglichkeit durch die Führung etwas „Neues“ über den Wald und das Rotwild zu lernen wurde genannt. Einige der Befragten gaben an, aus „Liebe zur Natur“ und ähnlichen Gründen an der Führung teilzunehmen. Andere drückten die Naturverbundenheit im Wunsch aus, durch das Beobachten des Rotwilds etwas „Schönes“ und „Natur noch naturnah“ zu erleben (Abbildung 3).

Abbildung 3: Gründe für die Teilnahme an einer Rothirschführung ©FVA
Abbildung. 4 Assoziationen zum Rothirsch ©FVA

Des Weiteren wurden Waldbesuchende und Führungsteilnehmende danach gefragt, welche Begriffe ihnen spontan zum Rotwild einfallen. Knapp die Hälfte aller genannten Begriffe betraf die Biologie des Tieres. So wurden das Geweih, das Zusammenleben im Rudelverband und besonders häufig die Brunft und das damit verbundene Röhren angesprochen. Neben diesen eher objektiv beschreibenden Eigenschaften wurde das Rotwild auch mit seinem Erscheinungsbild und seiner Wirkung auf den Menschen assoziiert. Dabei wurden unterschiedliche Adjektive genannt wie imposant, majestätisch, schön, beeindruckend, groß und stolz, aber auch scheu. Daran anschließend ergab sich für viele auch ein kultureller Bezug zum Rotwild. Darunter fielen Assoziationen verschiedener Rotwildgerichte, situationsbezogene Gefühle wie „Einsamkeit“, „Ruhe“ oder auch „Freiheit“ sowie verschiedene Darstellungen des Rotwilds in Filmen und Dokumentationen (Abbildung 4).

 

Auffällig war jedoch, dass die Befragten lediglich mit 5% aller genannten Begriffe das Rotwild mit der Jagd in der Verbindung brachten. Auch negative belegte Assoziationen wie beispielsweise „Schälschäden“ oder „Verbiss“, die den traditionellen, forstwirtschaftlichen Diskurs häufig prägen, wurden mit 1% recht selten benannt.

Neben den offenen Fragen wurden die Befragten beider Gruppen schließlich gebeten, Aussagen zum Rotwild ihrer Ansicht nach als zutreffend, teils/teils oder nicht zutreffend einzuordnen. Das Meinungsbild zu den beiden Aussagen „Rotwild verursacht Probleme“ und „Rotwild soll bejagt werden“ fiel sehr differenziert aus (siehe Tabelle 1). Dies spiegelt möglicherweise auch die Kontroverse wieder, mit der über das Rotwildmanagement häufig diskutiert wird.
Eindeutigere Trends ließen sich jedoch bei den weiteren Aussagen festellen. Das Vorkommen von Rotwild im Wald wurde überwiegend als positiv und als wichtiger Bestandteil der Landschaft erachtet. Auch die Aussagen, dass Rotwild in jedem Wald frei leben darf und erlebbar sein sollte, stieß auf bei etwa drei Viertel der Befragten auf Zustimmung.

Tabelle 1: Bewertung von Aussagen zum Rotwild durch Waldbesuchende und Führungsteilnehmende
Tabelle 1 (Fortsetzung): Bewertung von Aussagen zum Rotwild durch Waldbesuchende und Führungsteilnehmende

Dies schließt sich an die bereits oben erwähnte Präferenz an, Rotwild vor allem in der freien Wildbahn beobachten zu können.
Der Aussage, dass Rotwild nützlich ist, stimmten zwar die Führungsteilnehmenden in drei Viertel aller Fällen zu, allerdings teilte nur etwas mehr als die Hälfte der Waldbesuchenden diese Meinung. Diese Diskrepanz könnte auf ein anderes Hintergrundwissen oder eine positivere Einstellung seitens der Führungsteilnehmenden zurückzuführen sein. Allerdings ist der Begriff „nützlich“ ohne nähere Begriffsklärung auf verschiedene Weisen interpretierbar. Inwieweit das Verständnis von „nützlich sein“ anders gedeutet wurde, ist im Nachhinhein nicht mehr zu rekonstruieren. Es kann sich jedoch auch um statistische Ausreißer handeln, die aufgrund der kleinen Stichprobenanzahl besonders ins Gewicht fallen.

 

Im Vergleich zu den in der vorangegangenen Forschungsarbeit abgefragten Regionen (Kaltenbronn, Nationalpark sowie Schönbuch) ließen sich im Südschwarzwald keine Unterschiede in Zustimmung oder Ablehnung bestimmter Aussagen feststellen.

Zusammenfassend ist dem Rotwild ein hoher Erlebnis- und Erholungswert zuzusprechen, wenn man es als Waldbesuchender oder eben im Rahmen einer Führung einmal selbst erleben kann. Eventuell erfüllt das Rotwild auch das stärker werdende Bedürfnis nach „wild(er)“ und „ursprünglich(er)“ Natur, mit dem viele Menschen heutzutage den Wald aufsuchen. Auch die kulturelle Rolle, die Rotwild besitzt, ist nicht zu vernachlässigen.

Rotwild bietet somit auch Chancen für die Entwicklung des lokalen Tourismusangebots. Wie das Erreichen anderer mit dem Rotwild verbundener Ziele, hängt auch die Möglichkeit „mehr Rotwild zu erleben“ im Wesentlichen davon ab, die unterschiedlichen Ziele und Interessen der Akteure im Rotwildmanagement zu berücksichtigen. Davon abgesehen sind natürlich auch die Struktur der Landschaft und des Lebensraums maßgebliche Faktoren. So können z. B. Beobachtungsbereiche für Rotwild, wie sie beispielsweise in der Schweiz oder im Rotwildgebiet Südschwarzwald existieren, nicht ohne Weiteres auf den Nordschwarzwald übertragen werden, sondern erfordern eine individuelle Planung, welche auch von den Akteuren und den Möglichkeiten vor Ort abhängt.